Gemeinsam stark gegen Kinderheirat

Einblicke in unser Projekt zur Verhinderung von Kinderheirat und die Reise unserer Projektmanagerin Verena Demmelbauer nach Bangladesch, vom 11. – 15. Mai 2025

Warum dieses Projekt wichtig ist

In Bangladesch wird jedes dritte Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Besonders in ländlichen Regionen sind Kinderehen noch immer weit verbreitet – mit gravierenden Folgen:

  • Schulabbrüche
  • frühe Schwangerschaften
  • gesundheitliche Risiken
  • wirtschaftliche Abhängigkeit
  • ein Leben ohne Selbstbestimmung

Die Gründe dafür sind komplex: Armut, patriarchale Traditionen, fehlender Zugang zu Bildung, gesellschaftlicher Druck, fehlende staatliche Durchsetzung des bestehenden Verbots von Kinderehen. Eltern handeln oft aus Sorge um die soziale Sicherheit ihrer Töchter – nicht aus Ignoranz, sondern aus einem Mangel an Alternativen.

Hier setzt unser Projekt an – nicht von außen, sondern aus der Mitte der Gemeinden. Gemeinsam mit unserer Partnerorganisation The Hunger Projekt Bangladesch stärken wir lokale Akteur*innen, fördern Aufklärung und schaffen Räume, in denen Mädchen und Jungen ihre Rechte kennenlernen, leben und verteidigen können.

Der ganzheitliche Ansatz des Projekts

Das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierte Projekt läuft von Oktober 2022 bis Juni 2025 in 14 Unions der Distrikte Barishal und Tangail. Es erreicht direkt und indirekt über 38.000 Menschen. Das Besondere: Das Projekt verzahnt Bildung, Rechte, Gesundheitsfragen, ökonomische Perspektiven und politische Verantwortung – mit und durch die Community selbst.

1. Aufklärung & Bildung

    • In 56 weiterführenden Schulen wurden Youth Units gegründet – demokratisch strukturierte Gruppen von Schüler*innen, die zu SRHR (Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte), Kinderehe und geschlechterbasierter Gewalt arbeiten.
    • Sie klären über Videos auf, führen Diskussionsrunden, organisieren Rallyes, entwickeln Risikokarten für Schulwege, betreiben Aufklärung auf Augenhöhe – in ihren Schulen und Gemeinden.
    • Besonders beeindruckend: Mädchen und Jungen diskutieren in gemischten Gruppen über Menstruation, Körperveränderung und Schutz vor Gewalt – offen und ohne Scham.

    2. Stärkung lokaler Strukturen

    • Women Leaders (WLs) begleiten Mädchen, organisieren Elternversammlungen, führen Hausbesuche durch und greifen aktiv ein, wenn eine Kinderehe droht. Viele von ihnen sind selbst ehemalige Betroffene.
    • Village Development Teams (VDTs) setzen sich aus Männern und Frauen verschiedenster Altersgruppen und Berufen zusammen. Sie analysieren Ursachen von Kinderheirat, priorisieren Maßnahmen und setzen diese mit der Community um – von Schulkampagnen bis hin zu Selbsthilfegruppen für Frauen.
    • Union Coordinators (UCs) koordinieren die Aktivitäten vor Ort, begleiten Youth Units, WLs und VDTs, dokumentieren Entwicklungen und stärken die Schnittstelle zur lokalen Verwaltung.

    3. Zusammenarbeit mit Behörden & religiösen Führungspersonen

    • Child Marriage Prevention Committees auf Union-Ebene wurden reaktiviert, geschult und mit klaren Mandaten ausgestattet.
    • Gemeinsam mit Polizei, Imamen, Lehrer*innen, gewählten Ratsmitgliedern und lokalen Vorsitzenden werden gezielte Maßnahmen umgesetzt – etwa die Einhaltung von Altersnachweisen, die Begleitung nach Schulabbrüchen oder die direkte Intervention bei geplanten Eheschließungen.
    • Religiöse Führungspersonen spielen zunehmend eine aktive Rolle, etwa durch Predigten gegen Kinderheirat.

    4. Wirtschaftliche Stärkung junger Frauen

    • Mädchen, die die Schule abgebrochen haben oder durch Heiratspläne gefährdet sind, erhalten Zugang zu Skill Trainings, wie Schneiderei, Tierhaltung, Gemüseanbau oder Kosmetik.
    • Viele dieser jungen Frauen finanzieren heute die Schulbildung ihrer Kinder selbst – ein wirksamer Schutz vor Kinderheirat.

    Eindrücke von der Reise – Was mir begegnet ist

    Vom 11. bis 15. Mai 2025 war ich in Bangladesch, um unser BMZ-gefördertes Projekt zur Verhinderung von Kinderheirat zu besuchen. Was ich dort erlebt habe, berührte und begeisterte mich zugleich – denn der Wandel ist spürbar. Und er beginnt in den Dörfern, den Schulen, den Familien. Dort, wo Mädchen den Mut fassen, Nein zu sagen. Wo Lehrer*innen beginnen, offen über Sexualität und Körper zu sprechen. Wo Frauen ihre Stimme erheben – und gehört werden.

    Schon am ersten Tag wurde mir klar: Dieses Projekt ist keine abstrakte Maßnahme, sondern tief in der Gesellschaft verwurzelt. In einem Schulhof wurde ich von rund 50 Schüler*innen empfangen – Mädchen und Jungen zwischen 12 und 17 Jahren. Sie gehören zur Youth Unit, einer Art Schüler*innenrat, den es an allen Projektschulen gibt. Die Youth Units organisieren Quizrunden zu sexuellen und reproduktiven Rechten, klären durch Videos sowie Diskussionsrunden auf, verteilen Binden, kartieren gefährliche Schulwege, gestalten Schulhöfe mit und stoppen Kinderehen in ihrer Nachbarschaft.

    „Was mich besonders beeindruckt hat, war das Engagement der Youth Units: Schüler*innen, die nicht nur Aufklärungsveranstaltungen organisieren, sondern sogar Risikokarten erstellen, Petitionen verfassen und mit Schuldirektionen über sichere Schulwege und Hygieneinfrastruktur verhandeln – und ernst genommen werden.“

    Mädchen erzählten mir, wie sie sich mit Wissen aus dem Projekt gegen ihre eigene geplante Heirat zur Wehr gesetzt haben – unterstützt von Lehrer*innen, die heute ganz selbstverständlich mit ihren Klassen über Pubertät, Menstruation und körperliche Selbstbestimmung sprechen. Auch die Jungen zeigten sich hoch engagiert: Sie berichteten von der Verteilung von Hygieneprodukten, Aktionen gegen Online-Mobbing und Forderungen nach mehr gemischtem Sport-Events. Besonders berührte mich, wie offen und gleichberechtigt sie miteinander sprachen. Diese Form von Selbstbewusstsein und Solidarität ist alles andere als selbstverständlich.

    Ich traf auch Frauen, die in ihrer Jugend selbst verheiratet wurden und heute Women Leaders sind – Mentorinnen für andere Mädchen und Frauen in ihrem Dorf. Einige von ihnen haben durch das Projekt Zugang zu beruflicher Bildung erhalten. Eine junge Mutter erzählte mir, wie sie mit 17 zwangsverheiratet, dann alleinerziehend wurde und erst durch ein von The Hunger Project vermitteltes Training zur Schneiderin wurde. Heute verdient sie eigenes Geld und finanziert damit die Schulbildung ihrer Tochter. Für sie bedeutet das: keine Abhängigkeit mehr, keine Wiederholung der Geschichte.

    Auch die Village Development Teams (VDTs) haben mich nachhaltig beeindruckt. Diese Gruppen bestehen aus Frauen und Männern unterschiedlichsten Alters – von Landwirt*innen über ehemalige Freiheitskämpfer bis hin zu Kunsthandwerker*innen. Gemeinsam identifizieren sie soziale Herausforderungen wie Kinderehen, Schulabbrüche und häusliche Gewalt – und entwickeln Aktionspläne, um ihnen zu begegnen. In einem Dorf zeigten sie mir ihre selbst gezeichnete Risikokarte, auf der sie 60 besonders gefährdete Mädchen vermerkt haben. Dazu gab es einen Aktionsplan mit präventiven Gesprächen, Elternabenden, gezielter Unterstützung und sogar einem lokalen Mikrokreditsystem für Frauen.

    Viele Frauen erzählten mir: „Früher hatte ich Angst zu sprechen. Jetzt bin ich ein Vorbild für meine Tochter – und für mein Dorf.“ Das ist Empowerment im besten Sinn.

    Ich sprach auch mit zahlreichenpolitischen Akteur*innen. Unter anderem mit dem Vorsitzenden einer Union, der etwa 40.000 Menschen vertritt. Er schilderte, wie ihm das Projekt ihm geholfen hat, eine theoretische staatliche Direktive gegen Kinderehe in konkrete Maßnahmen zu übersetzen: religiösen Führern einbeziehen, Zusammenarbeit mit Schulen und das Monitoring gefährdeter Mädchen. Seine Einschätzung: Früher wurden 40 von 100 Mädchen vor dem 18. Geburtstag verheiratet – heute seien es nur noch 10 bis 20. Das ist noch zu viel. Aber es ist ein Anfang.

    Zwölf Dörfer haben sich mittlerweile selbst offiziell zu „Child Marriage Free Areas“ erklärt. Eine solche Entscheidung kommt nicht von oben, sondern entsteht aus Überzeugung, Organisation und gemeinschaftlichem Mut.

    Was das Projekt bisher erreicht hat

    • 360 geplante Kinderehen konnten nachweislich verhindert werden
    • Über 10.000 Jugendliche wurden zu Kinderehe, SRHR und Gewaltprävention aufgeklärt
    • 1.000 Frauen wurden durch Kleinstunternehmertum ökonomisch selbstständig
    • In über 30 Schulen wurden Hygiene-Ecken eingerichtet, Schutzstrukturen aufgebaut, Sportangebote für Mädchen gestärkt
    • Village Development Teams haben über 12.000 Menschen in ihren Dörfern sensibilisiert
    • 12 Dörfer haben sich offiziell als „Child Marriage Free Areas“ deklariert

    Herausforderungen – warum wir dranbleiben

    Viele Familien handeln nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Not. Wer keine Einkommensquelle für seine Tochter sieht, hofft, dass eine Ehe Sicherheit bringt. Genau deshalb ist das Projekt so wichtig: Es schafft Alternativen. Bildung. Dialog. Strukturen.

    Doch auch Herausforderungen bleiben:

    • Politische Instabilität erschwert langfristige Planung
    • Mangelnde Durchsetzung staatlicher Gesetze gegen Kinderehe
    • Hohe Nachfrage nach Schulungen und Trainings bei begrenzten Mitteln
    • Fehlende Erreichbarkeit staatlicher Hilfe wie Hotlines oder Beratungsstellen

    „Was wir dort erleben, ist nicht einfach Projektarbeit – es ist sozialer Wandel. Und der beginnt bei den Menschen selbst.“

    Gemeinsam weitergehen

    Das Projekt endet im Juni 2025. Doch die Jugendlichen, Frauen und Lehrer*innen vor Ort wollen weitermachen. Die meisten Schulen haben eigene Aktionspläne verabschiedet. Viele Jugendliche bilden Nachfolger*innen aus.