Dies ist eine Übersetzung des im Original in der Newsweek erschienen Artikel vom 31.10.2022: https://www.newsweek.com/what-happens-when-our-food-systems-fail-us-were-finding-out-opinion-1755227
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die des Autors.
Heute treffen Millionen von Menschen auf ihren lokalen Märkten schwierige Entscheidungen – sie kaufen weniger Lebensmittel und überlegen, wie sie ihr Budget für mehrere Mahlzeiten ausgeben können.
Heute werden Millionen von Landwirt*innen zusehen, wie ihr Ackerland brach liegt, weil die Kosten für Düngemittel in die Höhe schießen.
Heute werden Millionen von Kindern hungrig ins Bett gehen.
So sieht ein kaputtes Ernährungssystem aus.
Unsere globalen Ernährungssysteme bestehen aus allen Menschen, Prozessen und Infrastrukturen, die für die Ernährung unserer Welt erforderlich sind. Sie umfassen Erzeuger*innen, Verarbeiter*innen, Transporteur*innen und Händler*innen, die unsere Lebensmittel vom Feld zum Markt oder in den Supermarkt bringen. Dazu gehören auch die Unternehmen, die weitgehend bestimmen, was wir essen. Und sie umfassen auch uns, die Verbraucher*innen.
Jeder von uns ist Teil der globalen Lebensmittelversorgungskette, die anfällig ist für Störungen durch Klimawandel und Umweltzerstörung, geopolitische und gewaltsame Konflikte, wirtschaftlichen Abschwung sowie Ineffizienz und Verschwendung.
Unser globales Ernährungssystem ernährt jeden Tag Milliarden von Menschen. Aber nicht jede*r hat Zugang zu gesunden, nahrhaften Lebensmitteln. Millionen von Familien auf der ganzen Welt haben keinen Zugang zu Grundnahrungsmitteln. Wenn unsere Nahrungsmittelsysteme zusammenbrechen, wie in diesem Jahr aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Überschwemmungen in Pakistan, schießen die Lebensmittelpreise in die Höhe, und es kommt zu Hungersnöten. Die Auswirkungen halten über Jahre an.
Während sich die Welt darum bemüht, die von der Hungersnot betroffenen Gemeinschaften zu unterstützen, müssen wir auch unsere Ernährungssysteme stärken, um künftigen Schocks standhalten zu können. Wir dürfen langfristige Fortschritte nicht gegen sofortige Lösungen eintauschen. Wir müssen beides anstreben. Und es ist besonders wichtig, dass wir unsere Ernährungssysteme, angefangen auf der lokalen Ebene, stärken, da sich Katastrophen immer häufiger ereignen.
Wir sollten uns auch daran erinnern, dass die lokalen Gemeinschaften außerordentliche Möglichkeiten haben, ihre eigenen Herausforderungen zu lösen. Wir vom Hunger Projekt arbeiten seit über vier Jahrzehnten mit Gemeinden in ländlichen Gebieten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zusammen, um langfristige Lösungen zur Verbesserung der Ernährungssysteme zu entwickeln. Ausgehend von dieser Arbeit und den Erfahrungen meiner weltweiten Kolleg*innen vor Ort glaube ich, dass es drei Bereiche gibt, in die die Welt investieren sollte, um die Widerstandsfähigkeit unseres globalen Ernährungssystems zu stärken.
Erstens: Wir müssen uns um unsere Erde kümmern. So wie die indigene Landbewirtschaftung als wirksames Mittel zur Abschwächung der und Anpassung an die Auswirkungen der Klimakrise erkannt wurde, ist die Pflege unseres Bodens für die weitere Ernährung unseres Planeten von entscheidender Bedeutung. Einheimische, klimaresistente Nutzpflanzen benötigen weniger landwirtschaftliche Betriebsmittel wie chemische Düngemittel und Pestizide und haben zudem einen hohen Nährwert. Kleinbauern und -bäuerinnen in Uganda setzen beispielsweise biologischen Dung und andere natürliche Pflanzenreste als Dünger und Pestizide auf ihren Höfen ein – eine nachhaltigere Anbaumethode, die ihre charakteristische Widerstandsfähigkeit und ihren Einfallsreichtum unter Beweis stellt und den Boden für künftige Ernten bewahrt.
Als nächstes müssen wir in Kleinbauern und -bäuerinnen investieren, insbesondere in junge Landwirt*innen, die die Zukunft der Landwirtschaft darstellen. Wenn wir sie dabei unterstützen, ihre eigenen Feldfrüchte anzubauen, stärken wir die lokalen Märkte und verringern die globalen Auswirkungen auf das Klima, da die Lebensmittel näher an den Menschen angebaut und geerntet werden, die sie benötigen. Außerdem müssen wir Frauen, die den Großteil der landwirtschaftlichen Arbeit leisten, aber nach wie vor den Großteil der Hungernden in der Welt stellen, mit den Mitteln ausstatten, die sie brauchen, um den Kampf gegen den Hunger sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene zu führen.
Schließlich, und das ist vielleicht das Wichtigste, müssen wir mit der Vorstellung aufräumen, Hunger sei ein natürliches Phänomen. Wenn von der weltweiten Ernährungskrise die Rede ist, verwenden viele Menschen den Ausdruck „fehlender Zugang“, um die Gemeinschaften zu beschreiben, die am meisten von Hunger und Armut betroffen sind. Aber, wie wir vom Hunger Projekt schon früher gesagt haben, gibt es so etwas wie fehlenden Zugang nicht – nur eine Verweigerung des Zugangs. Ein globales Ernährungssystem muss bedeuten, dass jede*r – unabhängig von Nation und Einkommen – Zugang zu gesunden Lebensmitteln hat. Frei von Hunger zu sein ist ein Menschenrecht, und die Akteur*innen, die sich aus Inkompetenz oder Profitgründen ihrer Verantwortung entziehen, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Aufbau nachhaltiger lokaler Ernährungssysteme hat eine weitreichende Wirkung: eine größere biologische Vielfalt, eine bessere Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und ein besserer Zugang zu den Märkten für Landwirt*innen. Es schafft integrativere globale und lokale Wertschöpfungsketten für Lebensmittel und fördert die soziale Nachhaltigkeit. Dies bedeutet, dass Frauen, Verbraucher*innen und Kleinbauern und -bäuerinnen weiterhin widerstandsfähige und florierende Gemeinschaften aufbauen können.
Wir haben die Wahl, unsere kaputten Ernährungssysteme aufrechtzuerhalten oder abzubauen, und obwohl es einer globalen Anstrengung bedarf, um dieses globale Problem zu lösen, können Investitionen in Gemeinde-basierte Lösungen einen Weg in eine Zukunft ohne Hunger weisen.
Wir alle müssen unsere Rolle bei der Schaffung eines besseren, widerstandsfähigeren Ernährungssystems für alle wahrnehmen.
Tim Prewitt ist Experte für Ernährungssicherheit und Präsident und CEO von The Hunger Project.